Aunjetitzer Kultur: Die Fürstengräber

Aunjetitzer Kultur: Die Fürstengräber
Aunjetitzer Kultur: Die Fürstengräber
 
Gegen Ende des 3. Jahrtausends v. Chr. bildete sich in Mitteleuropa auf der Grundlage der endsteinzeitlichen Schnurkeramischen Kultur und der Glockenbecherkultur die Alt- oder Frühbronzezeit heraus. Zunächst setzte sie in technischer Hinsicht lediglich die bereits bekannte Kupfermetallurgie, also die Gewinnung und Verarbeitung des Metalls fort; erst zu Beginn des 2. Jahrtausends wurde die echte Bronze entwickelt, eine Legierung aus neun Teilen Kupfer und einem Teil Zinn. Besonders die Nachfrage nach dem selten vorkommenden Zinn begünstigte die Rohstoff besitzenden oder an solche angrenzenden Landschaften, wie es bei der Bretagne oder Südwest- und Südengland der Fall ist. So wird der dort in den altbronzezeitlichen Grabhügeln vorgefundene Reichtum an Goldschmuck und Waffen, zum Beispiel in der südenglischen Wessexkultur, mit Zinngewinnung oder -handel erklärt.
 
In Mitteldeutschland treten gegen 1900 v. Chr. urplötzlich isoliert liegende, mitunter von weitem sichtbare, reich ausgestattete Hügelgräber auf, die »Fürstengräber« der zwischen der mittleren Donau im Süden und Mitteldeutschland im Norden verbreiteten Aunjetitzer Kultur, deren Name auf eine Fundstelle nordwestlich von Prag, das heutige Únětice, zurückgeht. Diese Hügelgräber sind umso erstaunlicher, als in der Aunjetitzer Kultur ansonsten Flachgräber üblich sind. Bekannt sind besonders die mitteldeutschen Hügel von Helmsdorf, Leubingen (nach dem dort gelegenen Riesenhügel wird diese Grabhügelgruppe auch »Leubinger Gruppe« genannt), Dieskau, Nienstedt, Sömmerda, Lochau oder Österkörner. Auch in Mittelpolen befindet sich bei Łęki Małe ein Feld mit mehreren Großhügeln. Die Hügelgräber mit ihren monumentalen Ausmaßen bergen bisweilen im Innern noch einen älteren, jungsteinzeitlichen Hügel. Im Kern des altbronzezeitlichen Hügels liegt die Grabkammer, aus Eichenholz gezimmert und von einem steinernen Mantel umgeben. Häufig ist der Boden der Grabkammer mit Steinen gepflastert oder mit Holzdielen ausgelegt. Der Zugang liegt an der Nordseite, der Kopf der Bestattung ist nach Süden orientiert, was der allgemeinen Ausrichtung der Toten im Aunjetitzer Bereich entspricht. Die beiden Hügel von Leubingen (Grabung 1877) und Helmsdorf (Grabung 1906/07) zeigen deutliche Gemeinsamkeiten. Sie sind 7-8 m hoch, ihr Durchmesser beträgt circa 34 m. Den Kern des Erdhügels bildet jeweils ein aus Platten und Blöcken errichteter Steinhügel von 2 beziehungsweise 3,5 m Höhe und 18 beziehungsweise 24 m Durchmesser, der außen von einer etwa 1 m hohen Trockenmauer aus größeren Steinplatten umgeben ist. Teilweise sind Boden und Dach mit Schilfmatten ausgelegt, eine Art Gipsmörtel verschließt die Baufugen zwischen den Hölzern. Nur jeweils ein Mann war in diesen Großhügeln bestattet. In Helmsdorf war der Tote auf einer eichenen Bettlade aufgebahrt. Warum in Leubingen über den Körper eines greisen, gichtgeplagten Mannes ein vielleicht zehnjähriges Mädchen im rechten Winkel gelegt war, ist schwer zu interpretieren. Auffällig sind die vielen Beigaben der Toten, besonders solche aus Gold. In den Hügeln von Leubingen, Helmsdorf, Dieskau, Nienstedt und Łęki Małe wurde zusammen über 1 kg Gold niedergelegt. Außerdem kamen die überall in der Aunjetitzer Kultur verbreiteten, von den einheimischen Handwerkern gefertigten, auch in Hortfunden neben anderen Bronzeobjekten niedergelegten bronzenen Waffen und Werkzeuge wie Dolche, Stabdolche, Beile und meißelartige Geräte zutage. Die Dolche vom Aunjetitzer Typ sind keine Vollgussstücke, sondern bestehen aus zwei zusammengefügten Hohlteilen, deren Guss die Technik des Wachsausschmelzverfahrens voraussetzt. Außergewöhnliche Bestandteile des Leubinger Funds sind ein kissenartiger, vermutlich in der Edelmetallurgie gebrauchter Schleifstein und große Steinäxte, die damals schon etwa 2000 Jahre alt waren, »Antiquitäten«, deren frühere Funktion längst unbekannt war. Bei den weit über Europa verbreiteten, quer geschäfteten Stabdolchen, die die frühbronzezeitlichen Kulturen miteinander verbinden, wird der Waffencharakter von dem eines Rang- und Würdezeichens überlagert. Das gilt auch für die Stabdolche vom Aunjetitzer Typ, die angegossene Fassungen für die Schäfte besitzen, was ihnen im Unterschied zu anderen Stabdolchgruppen eine gewisse Stabilität gibt, sodass sie auch als Schlagwaffe brauchbar waren. Ebenso haben Prunkbeile den Charakter von Herrschaftszeichen, gleichzeitig kommen ihnen wohl immer auch kultische Funktionen zu. In Thun-Renzenbühl im Berner Oberland wurde ein für das westliche Mitteleuropa einzigartiges Prunkbeil gefunden; sein Dekor und Material tritt sonst nur in der Bretagne und in der Wessexkultur auf: In der Mitte des Randleistenbeils (Bezeichnung nach der Art der Schäftung) ist ein Kupferband eingelegt, in dem Stifte aus wegen eines höheren Silberanteils blassgelben Goldes (traditionell Elekron genannt) sitzen.
 
Die Fürstengräber der »Leubinger Gruppe« lassen gegenüber den bescheidener ausgestatteten Flachgräbern der Aunjetitzer Kultur eine deutliche soziale Differenzierung erkennen, wobei die Kennzeichen von Macht und Reichtum auf einige wenige, stets männliche Persönlichkeiten konzentriert waren. Um solche Grabmonumente zu errichten, bedurfte es zudem eines enormen Einsatzes vieler Arbeitskräfte. Weshalb sich diese gesellschaftlichen Unterschiede herausgebildet haben, ist noch immer unklar. Sicherlich spielte im Falle von Helmsdorf die Nähe zu den Kupferlagerstätten im Vorland des Harzes eine Rolle. Die prächtigen Funde in der Gegend um Halle (Saale), zum Beispiel von Dieskau, können mit der für diese Zeit bereits nachgewiesenen Salzgewinnung eine Erklärung finden. Zudem kommt Zwischenhandel von Metallen, Bernstein und Salz auf der Route von der Donau nach Skandinavien als Quelle des Wohlstands in Betracht. Denkbar ist auch, dass es sich bei den Toten um innovative Handwerker gehandelt hat, die aufgrund der Beherrschung neuer und geheim gehaltener Techniken in der Metallverarbeitung - zu dieser Zeit kam die echte Zinnbronze auf - großen Reichtum und damit zugleich Macht erlangten. Es können aber auch Häuptlinge mit priesterlichen Funktionen gewesen sein.
 
Bis in die jüngste Zeit verglich man die Aunjetitzer Fürstengräber aufgrund des Reichtums und der Differenzierung der damaligen Gesellschaft, die sich in ihnen ausdrücken, mit den Schachtgräbern von Mykene und glaubte, dass sie in die gleiche Zeit gehörten. Jahresringbestimmungen an den Hölzern der Grabkammern von Helmsdorf und Leubingen beweisen jedoch, dass diese vor 1850 v. Chr. angelegt wurden und somit etwa 200 Jahre älter sind als das Gräberrund A von Mykene.
 
Prof. Dr. Albrecht Jockenhövel
 
 
Archäologische Bronzen, antike Kunst, moderne Technik, herausgegeben von Hermann Born. Berlin 1985. Ausstellungskatalog, Museum für Vor- und Frühgeschichte Berlin.

Universal-Lexikon. 2012.

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